Der Alpenverein Südtirol hat mich am 12. Mai zur jährlichen Hauptversammlung eingeladen ein Impulsreferat zu halten. Das Thema "Wo klettern wir hin? - Sicht eines Bergsteigers auf den Alpenverein" hat mich vor eine große und reizvolle Herausforderung gestellt. Untenstehend habe ich versucht meine Gedanken in Worte zu fassen.
Die Einleitung
Ich glaube der AVS ist nicht ganz falsch geklettert, wenn man die hohen Mitgliederzahlen sieht, und die große Anerkennung im gesamten Land fühlt. Lediglich einige Griffkombinationen könnte man anders wählen; dass kompliziertes, einfacher wird.
Ich möchte alle recht herzlich begrüßen. Mein Name ist Helmut Gargitter, bin seit meinem 9ten Lebensjahr passionierter Kletterer. Mit meinem 18. Lebensjahr habe ich mich bei der Fahrschule eingeschrieben und ein paar Tage darauf habe ich die alte froschgrüne Karre vom Schützenkommandant in Brixen abgekauft. In den darauf folgenden Monaten habe ich ohne Führerschein an die 10.000 Kilometer von den heimischen Dolomiten, über Südfrankreich bis nach Siurana in Spanien zurückgelegt. Heute bin ich hauptberuflich Bergführer, besitze auch den Führerschein und begleite Leute weltweit in die Berge.
Vor 23 Jahren als Preindl Toni die Jugend-Landesleitung verlassen hatte und Fischer Hubert sein Nachfolger wurde, kamen beide zu mir nach Hause und fragten mich, ob ich die Kinderkletterkurse, die ich bereits erfolgreich in Brixen leitete, landesweit halten möchte. Seitdem habe ich viele Ausbildungskurse geleitet, wertvolle Menschen kennengelernt und viele Kletterfahrten mit Jugendlichen unternommen. Und somit bin ich schon bei der AVS-Jugend.
Die AVS-Jugend
Die Arbeit der AVS-Jugend ist, wie auch in anderen Vereinen, die Jugendarbeit betreiben, eine sehr wertvolle, zukunftsorientierte Arbeit. Die Kinder/Jugendlichen sind die Erwachsenen von Morgen, die den Verein bilden. Sie sind wie Wurzeln, sie sind von Anfang an dabei, wachsen in den Verein und werden auch oft zu Multiplikatoren. Die Jugendlichen (Wurzeln) werden zu Jugendführern, Tourenleiter, BRD-Mitglieder usw. Sie wiederum arbeiten mit den AVS-Mitgliedern, tragen das hier Erlernte, Angeeignete, ja das Innere nach Außen. Sie sind mit den Menschen draußen im Auftrag des Alpenvereins unterwegs.
Die Arbeit der AVS-Jugend ist schwer messbar, sie ist viel nachhaltiger als es erscheinen mag. Das, was die Jugendlichen hier erleben können, wird gespeichert und somit als Resource für ihre Zukunft. Auch wenn Jugendliche für einige Zeit wenig aktiv sind oder sich auch für einige Zeit vom Verein verabschieden, kommen viele später wieder zurück. Und auch wenn nicht, können sie jederzeit diese Resource andocken, für sich nutzen und wenn sie möchten, ausbauen.
Das Erlebnis in der Gruppe, das Miteinander, ein gemeinsames Abenteuer prägt die jungen Menschen und wirkt nachhaltig. Wie oft erzählt man sich später vom gemeinsamen erlebten...
Im Projekt „Förderung junger Bergsteiger“ des AVS haben junge ambitionierte Bergsteiger die Möglichkeit Einblicke in alle Bereiche des Bergsports zu bekommen. Dieses Angebot hat guten Anklang gefunden, und ich würde es gutheißen, wenn der AVS diese Schiene weiterfährt. Mir ist klar, dass hier eine große organisatorische Arbeit seitens der AVS-Jugend dahintersteckt, doch durch diese Aktionen, bleibt der Kontakt zwischen der jungen, extremen Bergsteigerwelt mit dem AVS erhalten. Das große Interesse an der nächsten Kletterfahrt nach Chile für 2013, zeigte das Vortreffen, an dem rund 35 junge Bergsteiger teilnahmen. Tatsache ist, dass diese Aktionen nur für wenige Mädels und Junge möglich ist. Generell kümmert sich der Verein um die breite Masse, doch durch diese Aktionen kann der Begleiter, in diesem Falle war das ich, eigene Erfahrungen, Motivation und Wertvolles aus der Tradition weitergeben. Genauso können diese Wenigen wiederum Vorbilder für die Jüngeren werden.
Die Hochtourengruppe
Was passiert mit diesen „nicht mehr Jugendlichen“, die über 25 Jahre alt sind? Für diese Bergsteiger gibt es meines Erachtens eine Lücke. Die HG könnte hier ein passender und wichtiger Bereich sein. Vielleicht könnte die HG landesweit eine Plattform schaffen, die Interessierte nach bestimmten alpinistischen Kriterien, aufnimmt. Ich meine dabei nicht nur ein Angebot von einer HG in einer Sektion sondern ein Angebot auf Landesebene. Dieser Interessenskreis hätte dann die Möglichkeit alpinistische Ziele im In- und Ausland durchzuführen.
ASK
Ebenso macht der ASK mit den Trainern und Betreuern gute Jugendarbeit. Die Zahlen zeigen, dass Jugendliche für den Kletter- und Wettkampfsport leicht zu gewinnen sind. Auch hier haben Trainer bzw. Verantwortliche die Pflicht den jungen Kletterern dieses Thema als gesamten Bereich, wie das Klettern in der Natur, in seiner ursprünglichen Form nahezubringen. Ich sehe die Aktivität Klettern nicht nur als leistungsorientierten Fitness und Indoorsport, der uns Italien- Europa- oder sogar einen Weltmeister bringt, oder uns nur für eine bestimmte Zeit sehr wichtig sein kann, sondern als eine Aktivität, die uns in seiner ganzen Bandbreite durchs Leben begleiten kann.
Die Referate
In der Natur spürt man nun schon den Frühling, sie breitet sich vor, um sich dann in der Blüte zu entfalten, um später im Herbst Früchte zu tragen...
Im AVS, zwischen den Referaten, spüre ich aber noch eine winterliche Briese, die das Vorbereiten und sich entfalten eher bremst. Aus meiner Sicht sollten die verschiedenen Referate besser zusammenarbeiten, sich gegenseitig unterstützen und nicht zu Konkurrenten werden - wie in einer Seilschaft der eine Partner dem anderen vertrauen muss.
Für die Mitglieder draußen gibt es den ALPENVEREIN, und dieser ist present als ALPENVEREIN; das Mitglied erlebt ihn als GANZES, ohne Untergruppen. Mir fällt dabei ein Zitat von Nelson Mandela ein, das ungefähr so lautet: „Reichst du deinem „Gegner“ (in diesem Fall zu krass ausgedrückt) die Hand, wird er überrascht sein und nicht mehr reagieren, sondern AGIEREN, also handeln.“ Mir ist bewusst, dass dies eine große Reife braucht, aber jede Situation im Leben wird uns geschickt, um daraus zu lernen. Das ist im Kleinen, wie auch im Großen so. Der AVS genießt in unserem Land und darüber hinaus einen großen Stellenwert. Jede/r der in die Berge geht, ist meist bereits Mitglied des AVS, nimmt Angebote in Anspruch und identifiziert sich mit dem Verein. Für Einsteiger ist der AVS draußen in den Sektionen der erste Ansprechpartner. Dank der verschiedenen Begleiter, wie JugendführerInnen, TourenleiterInnen , BRD-Frauen und –Männer sowie auch Bergführer werden die Mitglieder vorbildlich begleitet. Ortsstellenleiter, Ausschussmitglieder sollten persönlich Junge in ihren Verein fördern, (evtl. auch mal finanziell) sie motivieren Ausbildungskurse zu besuchen. Eine persönliche Motivation dieser Vorstände ist viel mehr Wert als Angebote auf dem Papier.
Die Kurse
Ein tragender Pfeiler sind die verschiedenen Ausbildungen im Verein. Das vielfältige Angebot der Kurse ist ein tragendes Aushängeschild des AVS. Es ist sehr wichtig, dass die Kurse von professionellen Bergführern und Referenten gehalten werden, um inhaltliche Qualität zu gewährleisten. Ein wichtiges Ziel in den Kursen soll auch weiterhin sein, den Teilnehmer für seine Aktivität in den Bergen zu sensibilisieren. Innerhalb Europa gibt es verschiedene Kletterethiken, die sich auf ein Gebiet bzw. Staat begrenzen. Bereits im Kurs sehe ich eine Notwendigkeit, den Teilnehmer bezüglich Naturschutz, Tradition und Kletterethik zu informieren.
Dolomiten Ethik
Und somit sind wir bei der Hakendiskussion in den Dolomiten gelandet. Auf Grund der aktuellen Sanierungscharta des DAV und ÖAV, wurde auch um die Stellungsnahmen des SAC und des AVS Südtirol gebeten. Eine Arbeitsgruppe aus hochkarätigen Südtiroler KlettererInnen, Vertreter des AVS und des Bergführerverbandes haben sich vor wenigen Monaten getroffen, dem Haken auf den Grund zu gehen und eine gemeinsame Position zu finden. Eigentlich hat sich seit unserem letzten Zusammentreffen 2003 wenig an unserer Meinung geändert. Ziel ist es weiterhin, sich selbst so lange wie nötig auf eine Klettertour vorzubereiten und nicht den Berg bzw. die Tour auf das eigene Niveau umzugestalten.
Der Abenteurer und Kletterer Andreas Gschleier hat das Protokoll geführt, hier einen kurzen Auszug davon: „Es liegt uns fern Regeln oder Verbote für das Klettern in den Dolomiten zu fordern, denn Verbote haben in den Bergen nichts verloren. Wir sind beim Klettern inmitten der Natur unterwegs, der Mensch ist Gast und nicht König in der Bergwelt. Uns ist klar, dass wir uns in keiner normbaren Umgebung befinden. Wir werden es demzufolge unterlassen, Vorschriften zu schaffen, denn wir können unsere Berge, ebenso wenig wie die Menschen, die sie erleben, in ein Korsett spannen.“
Das heißt kurz gefasst: Die Dolomiten sollen auch weiterhin Abenteuerplatz für die Zukunft bleiben, Klassiker sollen erhalten bleiben, lediglich Normalhaken, sollen bei Bedarf mit gleichwertigem, persönlich ausgewechselt werden. Die Ausnahme bestätigt nicht die Regel! In den Modegebieten, nahe einiger Passstraßen, die wir auch als Zwittergebiete bezeichnen können, für die entscheidet die dortige Klettergemeinschaft für etwaige Änderungen.
Bei Erstbegehungen wird Respekt vor den Klassischen Touren gefordert, an Wandfluchten großer Dolomitenberge kann jeder seinen Erstbegehungsstil anwenden, der sollte ebenso respektvoll und dem bereits vorhandenen Touren angepasst sein.
Natürlich wird es immer wieder Ausrutscher geben, aber durch die wird auch gelernt! Wenn dann eine solche Neutour kein Echo in der Bergsteigerszene findet, dann wird das sicher nicht wiederholt. Es regelt sich von selbst, denn auch Bergsteiger suchen nach Anerkennung. Hier gilt - unsere Meinung über Dolomitenethik selbstbewusst zu vertreten und uns nicht missionieren zu lassen. Jeder, der in den Dolomiten klettern will, findet Routen nach seinem Geschmack, es ist ein Mix zwischen Tradition und Moderne. Hier braucht es weiterhin Fingerspitzengefühl, dass Historisches erhalten bleibt und dem Neuen in dem Maße die Tür geöffnet wird, dass Altes und Neues zu einem respektvollen Spielfeld verschmelzen kann.
Der heutige Einstieg in den Klettersport ist meist die geschützte Indoor-Wand oder der gut gesicherte Klettergarten. Dies gewährleistet einen schnellen Leistungsanstieg, atletische und dynamische Züge lassen in hohe Schwierigkeitszahlen klettern. Der Umstieg in die freie Wildbahn fordert nun einen Schritt, der um einiges herausfordernder ist. Diese Erfahrung fürs alpine Klettern kann man nicht durch Theorie, leichten Zwillingsseilen, optimalen Reibungskletterschuhen, mit der direkten Erfahrung draußen ersetzen. Dies erfordert Zeit und Geduld und manchmal auch Rückschläge. In unserer schnelllebigen Zeit werden gerne Maßnahmen ergriffen, wie Routen angepasst, Griffe geschlagen, traditionelle Absicherungen durch Inox-Laschen ersetzt usw., um schnell einen Erfolg zu verbuchen. Dabei lügt man sich durch solche Aktionen der Ungeduld selbst in die Tasche.
Ich persönlich bin nun seit ca. 35 Jahre zum Klettern in den Bergen unterwegs und beobachte die Entwicklung. Als sehr positiv sehe ich, dass viele Menschen in den unterschiedlichsten Formen den Kontakt zur Natur suchen. Als weniger positiv sehe ich, dass oft versucht wird die Natur für verschiedene, spezielle Bedürfnisse umzugestalten und für kurzweilige Projekte konsumiert wird.
Bergsteigerische Unternehmungen sind immer öfter bereits vor Projektanfang massiv in den Medien. Teilweise kann jeder das „Tagebuch“ solcher Unternehmungen über Internet verfolgen. Berichtet wird von Lawinenabgängen, klirrender Kälte, extreme Ausgesetztheit der Atleten. Und ich frage mich, wie es möglich ist, in so einer Extremsituation noch zu filmen. Oftmals pushen Sponsoren junge, gute Kletterer und benutzen sie als billigen Werbeträger.
Der AVS als Sprachrohr
Als eine Aufgabe des AVS sehe ich die Öffentlichkeitsarbeit bezüglich „Risiko in den Bergen“. Das Wort „Sicherheit“ und „Krise“ ist mittlerweile in aller Munde. Aber dass das Leben nun mal lebensgefährlich ist, besagt schon die Tatsache, dass wir hier leben. In verschiedenen Zeitungen kann man lesen, dass Bergsteiger oder Skitourengeher Selbstmörder seien oder aus Fahrlässigkeit gehandelt hätten. Hier sollte der AVS Stellung nehmen und medial hinter allen Bergsteigern stehen, die das sogenannte Risiko in den Bergen akzeptieren. Den Bergsteigern sollte diese Eigenverantwortlichkeit mit all seinen Konsequenzen zugetraut werden. Die Ära der Versicherungsgesellschaften möchte uns lernen immer einen „Schuldigen“ zu finden. Doch ein solches Denken schrenkt uns total ein in unseren Entscheidungen. Ich könnte z. B. meinen Beruf mit der Angst im Nacken, was alles passieren könnte, nicht mehr ausüben.
Für mich war das, das erste Referat in dieser Art. Ich bin nicht ein Mann der großen Worte, ich bin lieber in der Natur leise unterwegs!
Klettern International
Jetzt möchte ich euch noch einige Eindrücke von unseren beiden letzten Kletterfahrten im Rahmen „Förderung junger Alpinisten“ zeigen.
Ziele dieser Kletterfahrten sind:
- gemeinsame Vorbereitung: mehrere Treffen für Planung u. Ablauf, spezielle Vorbereitungstage
- andere Kulturen kennenlernen: Zusammenleben mit Menschen anderer Kulturen
- Neuland entdecken: - als sanfte Pioniere unterwegs sein
Suchen von erreichbaren Touren im Gelände: Durch Beobachtung und gemeinsames Erkunden vom Gelände, mögliche erreichbare Kletterziele zu finden - Möglichkeit von Erstbegehungen mit geringen Materialaufwand und als Pionier im Neuland unterwegs zu sein
Zitat von unseren Begleitern Eulalia, Pietro und Ernesto "Sie waren noch nie mit einer Gruppe unterwegs, wo sie so integriert und gleichwertig waren. Sie wissen nicht ob sie sich nach 12 Tagen auf der Gipfelhochfläche des Auyantepuy in der Sonne, aber auch im Regen, Feuchtigkeit, Schlamm und Nässe freuen sollen wieder in ihre Zivilisation zurückzukehren, oder nicht.... Diese Worte sind ein sehr großes Kompliment an diese Jugendgruppe...."